Rezension zu »Mein letztes Jahr der Unschuld« von Daisy Alpert Florin
»Mit zweiundzwanzig glaubte ich noch daran, dass Erwachsene Dinge taten, die vernünftig waren, und dass sie allein aufgrund ihres Erwachsenseins über Informationen verfügten, die ich nicht hatte. Nun dämmerte mir, dass dies nicht immer der Fall war.«
New Hampshire, 1998. In ihrem letzten Semester auf dem Wilder College weiß Isabel
Rosen noch immer nicht so recht, was sie sich vom Leben erhofft. Regelmäßig
kämpft die eher introvertierte junge Frau mit ihrem Selbstbewusstsein und
Selbstzweifeln. Ihre Freund*innen schmieden Zukunftspläne, doch Isabel selbst steckt irgendwie fest. Zwischen ihren Träumen und den Hoffnungen ihres Vaters. Alles soll sich ab dem Moment ändern, als Autor und Journalist
R. H. Connelly ihren Kurs für Kreatives Schreiben übernimmt. Der charismatische
mittelalte Mann zieht sie in seinen Bann. Bei ihm fühlt sich Isabel zum ersten
Mal in ihrem Leben gesehen und talentiert. Als Studentin und auch als
eventuelle zukünftige Autorin. In seiner Gegenwart fühlt sie sich immer weniger wie ein
Mädchen, das nur vorgibt, eine Frau zu sein, sondern mehr und mehr wie eine
Frau. Eine schöne und begehrenswerte Frau. In seiner Nähe ist sie die, die sie
immer sein wollte. Connelly scheint diese Veränderung in Isabels Wesen zu
bemerken, seine Aufmerksamkeit für sie wächst. Bald stürzt sich Isabel in eine
Affäre mit ihrem viel älteren Professor. Eine Affäre, die mehr und mehr von
Isabel fordert, die die junge Frau zunehmend überfordert und tiefschürfende
Fragen über ihre Zukunft aufwerfen wird. Währenddessen hält ein Familiendrama
das College in Atem, das für Isabels Leben ungeahnte Folgen haben wird.
»Mein letztes Jahr der Unschuld« ist eine aus der Perspektive von Isabel rückblickend erzählte, leise Coming-of-Age-Geschichte über jenes letzte Jahre zwischen Jugend und Erwachsensein, Unbedachtheit und Verantwortung. Durch die zwischendurch erfolgenden Vorausdeutungen wird eine interessante Erzähldynamik geschaffen. Wir Lesenden begleiten Isabel auf ihrem Weg des Erwachsenwerdens, auf dem wilde Träume von einem aufregenden Autorinnenleben mit der harten Wirklichkeit von Studienschulden und finanzieller Abhängigkeit kollidieren. Es ist ein Bericht über Freundschaften und die ersten tiefergehenden körperlichen wie romantischen Erfahrungen, über diesen schmalen Grat zwischen gefallen wollen und man selbst sein, zwischen Selbstfindung und Verlorengehen. Leise, doch spürbar stellt der Roman Machtverhältnisse und Machtgefüge ins Zentrum. Welche Beziehungen tun uns wirklich gut, über einen ersten Blick hinaus? Wie leicht werden wir zu Opfern von Toxizität und unauffälligen, doch bleibenden Folgen von Missbrauch? Wie alt müssen wir werden, um die Bedeutung von Einverständnis zu verstehen, nur von unserem eigenen Empfinden abhängig zu machen und durchzusetzen? Gleichzeitig stellt der Roman die Frage nach Verantwortung. Im Großen wie im Kleinen. Gesellschaft, familiär und ganz individuell. Es hätte für mich persönlich vielleicht noch tiefschürfender und direkter erzählt sein können. Dennoch empfinde ich »Mein letztes Jahr der Unschuld« als einen lesenswerten, phasenweise sehr eindringlichen Debütroman über Einvernehmen und über die Erkenntnis, dass die Grenze zwischen Jugend und Erwachsensein fließend ist und schwankt.
..................................................................
Kommentare
Kommentar veröffentlichen