Rezension zu »Frauen, die beim Lachen sterben« von Alexandra Stahl
»Es gibt einfach Menschen, in denen verheddert man sich!«
Iris‘ Leben befindet sich im Alter von 40 Jahren an einem Wendepunkt. Und wie könnte man diesem Wendepunkt besser auf den Grund gehen, als spontan und nach der Nachsaison auf eine griechischen Insel zu reisen, auf der angeblich alle Einheimischen jagen gehen, der Mann an der Superkasse bedenklich treffend wie Kevin Spacey aussieht, streunende Katzen die Zeit auf dem Balkon verderben und die wenigen anderen Gäste vor allem durch ihre unsympathische Art und Seltsamkeit auffallen? Aus einem einwöchigen Aufenthalt werden knapp drei Monate. Aus einer Pause werden ein Rückzug und ein Ende, wird vielleicht auch ein Neuanfang. Während Iris also den Winter auf dieser kleinen griechischen Insel verbringt und eher unfreiwillig in das Leben von Vermieter Paolo und den anderen wenigen Gästen hineingezogen wird, verarbeitet sie in ihren Gedanken doch stets die Gründe, die sie letzten Endes hierhergeführt haben. Sie denkt an ihre Freundinnen Ela und Katja und versucht herauszufinden, an welchem Punkt sie sie verloren hat, sie sich auseinandergelebt haben und was sie einst überhaupt zu Freundinnen gemacht hat. Sie denkt an Simon und daran, warum sie dieser von vornherein zum Scheitern verurteilten Beziehung, die sie nie wollte, so viel Raum und Kraft und Lebenszeit gewidmet hat. Sie denkt an sich selbst, ihre persönlichen Schwächen, an das Leben, das sie nie wollte, an das Leben, das sie bis zu diesem Punkt geführt hat und über ihre Rolle und die getroffenen (Nicht-)Entscheidungen in dem Ganzen. Was ist noch wichtig, wenn einem alles und alle egal geworden und verloren gegangen sind, die einmal von Bedeutung waren? Und noch viel wichtiger: Worauf kommt es Iris in der Zukunft an?
»Immer gab ich schon in dem Moment auf, in dem mir klar wurde, dass ich kämpfen musste. So war ich. Viele Menschen waren so.«»Frauen, die beim Lachen sterben« bietet eine ganz eigene, schwer zu benennende Leseerfahrung. Ein ständiger Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Gedankenspiralen und trockenem Humor. Vielleicht war es mir stellenweise ein wenig zu sprunghaft, zu undurchsichtig, ein ständiges Verlieren und Finden des Zugangs zum Text. Oder es war nur Iris, die mich mit ihrem – oftmals unzuverlässigem – Erzählen gefordert hat. Ein Verlorengehen im Text als Verlorengehen in den Gedanken der Figur. Eine Figur, die ich nicht immer gemocht habe, mit der ich mich aber abfinden musste so wie wir alle uns mit uns selbst abfinden müssen. Ein kleiner beabsichtigter Spiegel? Eine im Deckmantel des Humors und der Erzählverzweigungen gestellte Frage an die Leser*innen, ob sie sich eigentlich selbst mögen, ertragen, ob das eigene Leben verläuft wie erhofft? Wer weiß, möglich ist es durchaus. Ich habe nicht alles verstanden, ich habe nicht alles gemocht, aber ich habe das starke Gefühl, dass es Alexandra Stahl mit ihrem feinen Roman genau darum gehen könnte. Ich wurde gefordert beim Lesen, ich wurde unterhalten. Ich spürte Iris‘ Trägheit zwischen den Zeilen so sehr, dass ich selbst ganz müde wurde. Ich schmunzelte über ihre sarkastischen Kommentare und fühlte mit, beim Verlieren und Finden, beim Verlassenwerden. Denn das, das Verlassenwerden – in freundschaftlichen und romantischen Beziehungen – ist der eine Knackpunkt, an dem Iris‘ Erlebniswelt zwangsläufig mit der eigenen kollidiert. Wer kennt es nicht, dieses Gefühl eines Menschen, der zwar noch da ist, aber eben nicht mehr für dich, eben jetzt nur noch irgendwo und für andere? Wer kennt nicht die Selbstzweifel, die mit dem Ende einer Beziehung Hand in Hand gehen? Eine Analyse der Geschehnisse bis zum Punkt der Trennung, die »was wäre wenn«s und die »wie konnte es nur so weit kommen«s. Pointiert und mit jeder Menge Selbstironie geht Stahl durch Iris genau diesen Fragen auf Grund und konfrontiert die Leser*innen mit der unzufriedenstellenden Erkenntnis, dass es manchmal keine Antworten geben wird. Leben werden gelebt, Menschen finden sich und Menschen bewegen sich weg voneinander.
»Sie hatten das Setting mit Gefühlen verwechselt. Das passierte ständig.«
»Frauen, die beim Lachen sterben« ist ein faszinierender Mix aus alltäglicher Banalität und einem scharfen Blick auf die Schwierigkeiten zwischenmenschlicher Beziehungen. Anders, herausfordernd, aber lebensklug und lesenswert.
»Man muss immer darauf achten, was Menschen im Scherz sagen. Menschen verstecken ihre Wünsche und ihre Ängste im Scherz.«
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