Rezension zu »Das Comeback« von Ella Berman
»Ich schaue aus dem Fenster auf die Stadt, die mir alles gab und alles wieder nahm.«
Vor einem Jahr hat die 21-jährige Grace Turner auf dem bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere urplötzlich und aus dem Nichts alles hinter sich gelassen: Am Abend vor ihrer ersten Golden Globe-Nominierung verschwand sie aus Hollywood, ohne jemanden Bescheid zu geben, ließ ihre Ehe, ihr Team und den Glamour der Filmbranche hinter sich und flüchtete in ihr Elternhaus nach Anaheim, wo sie unzählige Tage mit Nichts verbrachte. Doch man kann sich nicht auf Dauer verstecken, irgendwann holt einen das Leben wieder ein – ganz besonders, wenn man ein weltberühmter Teenie-Star ist und das eigene Verbleiben ein Mysterium. Jetzt, ein Jahr später, kehrt sie also nach Los Angeles zurück. Um neuanzufangen, sich ihre Karriere und ihr Leben zurückzuerobern, ein Comeback nach ihren Maßstäben. Doch Hollywood funktioniert nach eigenen Regeln und zieht Grace schon bald zurück in ein Netz aus Lügen, Abhängigkeiten und Druck. Als sie darum gebeten wird, ihrem Mentor und Entdecker Able Yorke den Preis für sein Lebenswerk als Regisseur zu überreichen, gibt es keinen objektiven Grund, Nein zu sagen. Acht Jahre lang war der deutlich ältere Mann alles für sie: Bezugsperson, Familienersatz, Alleinentscheider über ihre Karriere und ihr Sein. Acht Jahre der ständigen Kontrolle, des manipulativen Einsatzes von Macht, Zuneigung und Abwertung. Aber auch: Acht Jahre des Missbrauchs, psychisch wie physisch. Acht Jahre, die deutliche Spuren in Graces Seele hinterlassen haben, die sie in die Abhängigkeit von Alkohol und Drogen, in die Isolation, beziehungsunfähig und an ihre psychischen Grenzen getrieben haben. Langsam begreift Grace, dass sie so nicht mehr leben kann, dass das Geheimnis und die Scham zu schwer wiegen, dass sich etwas ändern muss in ihrem Leben, dass sie die Kontrolle wiedererlangen muss und dass sie dafür, so schwer und unmöglich es auch scheinen mag, das Schweigen brechen muss. Grace hat nichts mehr zu verlieren, aber alles zu gewinnen.
»Er hat mir meine Selbstbestimmtheit, meine ganze Kraft genommen und mich dann mit meiner Scham alleingelassen.«
Wenn man in Hollywood eins muss, dann schnell erwachsen werden. Und so wirkt Grace auch nicht wie eine 22-jährige junge Frau ganz am Anfang ihres Lebens, sondern wie eine deutlich ältere Person, mit so viel Last auf den Schultern, dass es für ein ganzes Leben reichen würde. Dies fällt besonders im Vergleich zu ihrer 16-jährigen Schwester auf: Es liegen Welten zwischen ihren Lebensrealitäten und ihrem Verhalten. Aber Grace durfte nie Teenagerin sein, wuchs abgeschottet von ihrer Familie und Gleichaltrigen auf, umgeben von Erwachsenen und unter dem eisernen Blick Ables; konnte nie herausfinden, wer sie – Grace Hyde – eigentlich ist, war immer gezwungen, Grace Turner zu sein, eine Leinwand für die Projektionen von Able, den Rollen, die er ihr gab, und dem Blick der Welt auf eine berühmte Schauspielerin. Als Leser*innen lernen wir die wahre Grace kennen: Eine lebensunfähige junge Frau, die strauchelt, die mit ihrer Sucht kämpft, die leidet und durchdrungen ist von Widersprüchen und psychischem Schmerz. Eine junge Frau, die im Begriff ist, zu lernen: sich zu behaupten, eine Mahlzeit zu kochen, Einkaufen zu gehen, echte zwischenmenschliche Beziehungen zu knüpfen, die auf Gleichberechtigung aufbauen, eine zarte Annäherung an ihre Familie, von der sie – doch eigentlich selbst noch fast Kind – so furchtbar entfremdet ist. Grace bei ihrem Kampf um Selbstermächtigung zu begleiten, hat beim Lesen viel in mir ausgelöst. Tiefes Mitleid, geteilter Schmerz, Sorge. Schwermütig, fesselnd und ganz nah dran am Erzählten ermöglicht »Das Comeback« einen Blick hinter die Kulissen Hollywoods und einer jungen Frau, die auf den ersten Blick alles hat, ein Leben führt, um das sie Teenager*innen auf der ganzen Welt beneiden und doch in Wahrheit keinerlei Kontrolle hat. Obwohl es – bewusst – keinen inhaltlich wahren Bezug zu der #MeToo-Bewegung in Hollywood hat, steht dieser Roman doch genau dafür: Er handelt von patriarchalen Machtstrukturen in der Unterhaltungsindustrie, die Ausbeutung, Misogyne, Missbrauch, Machtmissbrauch, Gaslighting, und, in der Folge, Suchtkrankheiten und gebrochene Psychen begünstigen. Psychologisch tief ausgearbeitet wird in Grace eine vielschichtige, komplizierte und komplexe Figur geschaffen, die für so viele Frauen steht und denen eine Stimme gibt, die (noch) nicht die Kraft dazu haben. »Das Comeback« ist ein wichtiger literarischer Beitrag zum Thema und ein beeindruckend gelungenes Debüt: packend, erschütternd, zum Nachdenken anregend, Augen öffnend und empowernd.
»Ich muss mich noch daran gewöhnen, ich selbst zu sein.«
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