Rezension zu »Geordnete Verhältnisse« von Lana Lux

»Mädchen dürfen nämlich nie beleidigt und nie geschlagen werden. Sie selbst dürfen alles. Aber wehe, da kommt Kontra. Da wird gewinselt und geheult und mit dem Finger gezeigt. Der Typ ist im Zweifelsfall immer schuld. So ist es doch.«

Als Faina und Philipp sich kennenlernen, sind sie noch Kinder. Faina, frisch in die Kleinstadt gezogen und von den anderen Kindern aufgrund ihrer strengen konventionellen ukrainisch-jüdischen Herkunft und ihres brüchigen Deutsches ausgeschlossen, hat keinen leichten Start an der neuen Schule. Doch in Philipp findet sie einen unerwarteten Verbündeten, denn auch Philipp ist kein Kind, das viele Freund*innen hat: Philipp ist ein stiller und von Zeit zu Zeit aufbrausender Junge. Traumatisiert vom Alkoholismus seiner Mutter neigt er zu Wutausbrüchen, mag Pflanzen mehr als Menschen und sehnt sich doch nach einer Person, die für ihn da ist. Zwischen den beiden entsteht eine enge Freundschaft, die nicht von irgendwoher kommt. Denn Philipp beschließt, dass Faina seine Person werden wird. Also bringt er ihr Deutsch bei und alles Wissenswerte über deutsch-christliche Traditionen. Auf ihre ukrainisch-jüdischen Konventionen geht er nicht ein, schließlich ist das nicht die Faina, die er haben will. Eine Freundschaft zu Philipps Bedingungen. Mehr passiert nie zwischen ihnen, die von allen wegen ihrer roten Haare sowieso meist für Geschwister gehalten werden. Nach einer intensiven Kindheit und Jugend leben sich die beiden auseinander. Inzwischen ist Philipp ein misantropher Mann mit schicker Eigentumswohnung und fester Freundin. Nicht, weil er eine feste Freundin oder gar körperliche Nähe möchte, sondern, weil man das eben so tut. Ein Leben in geordneten Verhältnissen, alles geplant, durchdacht, berechnet. Bis Faina plötzlich nach Jahren ohne Kontakt vor seiner Tür steht. Aufgelöst, verschuldet, planlos, einsam, schwanger. Philipp lässt sie herein und bietet ihr an, zu bleiben. Obwohl Faina eigentlich nicht will, stimmt sie zu, weiß sie doch, dass sie keine Alternative hat und Philipp alles für sie tun würde. Doch Philipps Hingabe hat einen Preis.

»Das Gefühl, ihm die Welt zu bedeuten. Dieses Gefühl macht süchtig. Es lässt einen alles andere erdulden. Weil es ja zum eigenen Besten ist, weil der Schmerz, den diese Person einem zufügt, seiner Liebe entspringt.«

»Geordnete Verhältnisse« ist ein Roman, der unaufhaltsam und so schmerzhaft wie unausweichlich auf ein Ende hinarbeitet, das weh tut, schockiert und in seiner Folge doch absolut vorhersehbar ist; psychologisch eindrucksvoll erzählt aus den wechselnden Perspektiven des Opfers und des Täters. Philipp ist von vornherein ein Unsympath, seine soziopathischen Tendenzen beim Lesen mehr als spürbar, fast graust es mich beim Lesen, tiefer einzudringen in seinen Kopf. Gleichzeitig bin ich fasziniert, bin ganz nah dran und bekomme einen Innenblick auf einen zutiefst gestörten jungen Mann, dem ich mich nicht entziehen kann. Das Perfide daran: Abneigung und Mitgefühl halten sich beim Lesen die Waage. Denn so furchtbar es ist, wie Philipp bereits als Kind weiß, an welchen Hebeln er bei Faina ansetzen muss, um sie seinen Wünschen und Bedürfnissen entsprechend zu formen, so sehr regen die Rückblenden in seine Kindheit, terrorisiert und traumatisiert von der eigenen Mutter, auch mein Mitleid an. Mutterkomplexe, Verlustängste, das Gefühl, nicht gut genug und nicht liebenswert zu sein, die Einsamkeit, ein kleiner verlorener, verängstigter Junge, der Hilfe bräuchte und nicht bekommt. Ja. Aber eben auch: Ein kleiner Junge, der heranwächst zu einem herrschsüchtigen, kontrollierenden, manipulierenden und frauenhassenden Mann. Der Faina bereits einmal verloren hat und dies kein zweites Mal zulassen wird. Ein Problem, denn es kommt der Punkt, an dem Faina sich weigert, zum Besitz eines Mannes zu werden. Trotz allen Versuchen von Philipp, ist Faina eigensinnig, lebhaft, wild und psychisch instabil. Ein Wirbelwind außerhalb seiner Kontrolle und somit eine Bedrohung für die geordneten Verhältnisse. So erzählt »Geordnete Verhältnisse« eindringlich und soghaft die Geschichte einer Obsession, die Geschichte einer toxischen Beziehung über Jahre hinweg, die Geschichte von emotionaler und monetärer Abhängigkeit, die Geschichte von Kontrolle und Verlust, die Geschichte von psychischer und physischer Gewalt und die Geschichte einer so tief in unserer Gesellschaft verwurzelten Misogynie, das diese Geschichte am Ende des Tages nichts weiter ist als nur eine weitere tragische »Beziehungstat«.

… und doch, obwohl ich es wusste, es kommen sah und spürte, war es diese eine letzte Seite, die mich mit Gänsehaut, Wut und Schmerz zurückgelassen hat.

»Es ist verblüffend, wie aus Liebe Hass werden kann [...]. Ich glaube nicht, dass es wahr ist. Ich glaube, dass wir, die davon betroffen sind, bloß von Anfang an Kontrolle mit Liebe verwechselt haben.«




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Daten zum Buch
Titel: Geordnete Verhältnisse
Autor*in: Lana Lux
Sprache: Deutsch
Verlag: Hanser Berlin
Hardcover | 288 Seiten | ISBN: 978-3-446-27955-1

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