Rezension zu »Verdammt wütend« von Linn Strømsborg
»Alle in meinem Umfeld sehen, dass ich wütend bin. Alle, die mich kennen, sehen es, und wer mich nicht kennt, sieht es auch. Aber niemand hat mich je gefragt, warum ich wütend bin.«
Britt treibt im Wasser. Es ist ein warmer Sommertag, ein weiterer perfekter Tag im Urlaub in Norwegen, die Sonne brennt auf ihrer Haut. Ihr Mann Espen, ihre Tochter Elise, und die gemeinsamen Freund*innen sind noch in der Villa. Britt treibt im Wasser fernab der Anderen, weil sie eben ausgerastet ist, alle angeschrien hat. Britt fühlt sich nicht schlecht deswegen, im Gegenteil. Sie bedauert nur, dass sie so lange gewartet hat, laut zu werden und die seit langem in ihr schlummernde Wut endlich rauszulassen. Denn mit 43 Jahren stellt Britt ernüchtert fest, dass ihr Leben ganz anders verlaufen ist, als sie es sich erhofft hat. Und das, obwohl sie ihr Leben lang immer alles richtig gemacht hat. Sie hat sich an alle Regeln gehalten, weil Regeln wichtig sind. Sie hat getan, was getan werden musste, was von ihr erwartet wurde. Job, Ehemann, Haus, Familie. Hat sich immer um alle und alles gekümmert, außer um sich selbst. Bis heute, heute hat sie ihre Wut gezeigt. Zurück will sie noch nicht, also schnappt sie sich Nico, die ihr unliebste von Espens Freund*innen, zu der sie nie eine Beziehung aufbauen konnte und wollte, und fährt mit ihr weg. Nico ist frei, unabhängig, mutig. Alles, was Britt nie gelernt hat zu sein und genau das, was Britt jetzt braucht. Ohne jemandem Bescheid zu geben, fahren sie los und verbringen einen Tag, einen Abend und eine Nacht an einem Strand. Eine Kostprobe eines anderen Lebens, eine Kostprobe von Freiheit. Niemand, hinter dem sie herräumen muss, niemand, der etwas von ihr fordert, erwartet oder braucht. Nur Britt und Nico, die Sonne, das Meer, Ruhe und Bier. Doch aus der Nacht wird Morgen und Britt muss zurück in die Realität. Zurück zu ihrer süßen Tochter, deren Nähe und Abhängigkeit Britt oft zu viel sind. Zurück zu Espen, dessen Vorstellung von Familie, Vaterschaft und Arbeitsteilung Britt an den Rand der Verzweiflung bringen. Zurück in ein Leben, das sich verschwendet anfühlt. Auf dem Rückweg fragt sich Britt, wer sie sein will. Als Frau, als Mutter, als Partnerin.
»Ich hab mir nie das genommen, was ich wollte, ich hab mich mit dem begnügt, was ich bekommen habe.«
»Verdammt wütend« erzählt, wie der Titel schon vermuten lässt, von der Wut einer Frau. Eine Wut auf das Leben, auf gesellschaftliche Strukturen, auf ein misogynes Frauenbild, das ihr seit ihrer Kindheit anerzogen und auferlegt wurde und sie zu einer Frau hat werden lassen, die anderen gerecht werden will und sich selbst dabei vernachlässigt. Wut auf sich selbst, auf die eigene Unfähigkeit, Erlerntes umzulernen und sich gegen die Ungerechtigkeit der Dinge zur Wehr zu setzen. Obwohl meine Realität auf den ersten Blick wenig zu tun hat mit der von Britt, einer verheirateten Frau in den Vierzigern und Mutter einer kleinen Tochter, war es diese Wut, aber auch der sich im Laufe des Romans entwickelnde Trotz, der mir Britt als Person nahe gebracht hat. Eine jede von uns könnte Britt sein und das ist es, was diesen Roman so greifbar macht. Als Ehemann steht Espen für einen ganz bestimmten und problematischen Typ Mann, der beim Lesen gewaltig meine Geduld strapaziert hat. Auch seine Reaktion auf Britts Verschwinden, die uns ausschnittsweise erzählt werden, haben da nicht geholfen. So schwelt die Wut in Britt, seit Jahren, wächst mit jedem Abendessen, das sie kochen muss, jeder Nacht, die sie aufstehen muss, wenn die Kleine weint, mit jeder kleinen und großen Geste, durch die Espen seine eigenen Bedürfnisse vor Britts stellt. Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es reicht. Jetzt, nach ihrem Ausbruch, zusammen mit Nico, auf die sie immer eifersüchtig war, erkennt Britt, dass sich etwas ändern muss. Dass das Leben zu kurz ist, um sich mit der Wut abzufinden. In »Verdammt wütend« erleben wir das Erwachen einer Frau, die lernt, ihre Wut in Trotz zu verwandeln, sich aufzurappeln und zum ersten Mal in ihrem 43-jährigen Leben ihre Bedürfnisse nicht nur zu benennen, sondern an erste Stelle zu stellen. Durch den Schreibstil ist Britts Wut und Wandel auf jeder Seite spürbar, ein stilistisches, loderndes Feuer, das durch die Seiten trägt. Ich wurde mitgerissen von Britts Geschichte, die für mich an der ein oder anderen Stelle aber gerne noch ein wenig tiefer in das emotionale Innenleben hätte eintauchen können und weitere Facetten zum Gesamtbild hätte hinzufügen können. »Verdammt wütend« ist ein feministischer Roman über eine Wut, die wie ein Schwelbrand Generationen übergreift und überindividuell ist.
»Wo etwas verschwindet, entsteht etwas anderes. Wo alles zerstört wird, kann auch alles neu beginnen.«
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