Rezension zu »Idol in Flammen« von Rin Usami
»Ganz alltägliche Aufgaben, die andere mit link bewältigen, fallen mir schwer, und ich mache mir ständig Sorgen um die Spuren, die meine Fehler hinterlassen. Aber eins weiß ich absolut sicher: Masakis Fan zu sein ist das Zentrum meines Lebens, die eine Konstante. Mein Idol ist meine Körpermitte, meine Wirbelsäule.«
Für die 16-jährige Schülerin Akari ist nur eins wichtig: Masaki ist Idol in einer beliebten J-Pop-Gruppe und Akaris gesamter Lebensinhalt. Als Masaki-Bloggerin hat sie sich in der Fanszene einen Namen gemacht, sie verfolgt jedes bisschen Medienpräsenz, das sie von ihm bekommen kann, tapeziert die Wände ihres Zimmers mit Postern von ihm, spart an allen Ecken und Kanten, um jedes bisschen Geld, das sie zusammenkratzen kann, für ihn auszugeben. Wer braucht schon Essen, wenn es eine neue CD-Auflage oder irgendeinen neuen Fanartikel zu kaufen gibt? Wer braucht schon Freund*innen, echte soziale Kontakte oder gar Tageslicht, wenn man Stunden um Stunden in Masaki-Foren mit Gleichgesinnten verbringen kann? Wer interessiert sich für einen guten Abschluss, wenn man minutiös und frame-by-frame jede von Masakis Äußerungen und Regungen interpretieren und analysieren kann? Akari lebt für Masaki, will alles tun, um ihn zu unterstützen. Schließlich ist er ihr Idol. In ihrer Begeisterung, irgendwo zwischen Bewunderung und Wahn, kommt Akari an ihre Grenzen als Gerüchte darüber laut werden, dass Masaki einen weiblichen Fan körperlich angegriffen haben soll. Akari kann es nicht glauben, will es nicht glauben. Noch mehr schmerzt sie jedoch nahezu körperlich der damit einhergehende mediale Rückzug von Masaki. Was ein Weckruf für Akari sein könnte, zieht sie nur noch tiefer hinab in den Strudel aus Besessenheit und Wahn. Wie verkraftet sie den Rückgang seiner Beliebtheit, die sie selbst persönlich nimmt? Wer ist sie, wenn sie ihr gesamtes Sein nicht auf ihn ausrichten kann? Welchen Sinn hat ihr Leben noch, wenn es nicht um ihn kreist?
»Ich bin nicht ich, wenn ich nicht Masakis Fan bin. Ein Leben ohne ihn ist nur noch ein Warten auf den Tod.«
»Idol in Flammen« war ein Einblick in eine Kultur, mit der ich bis dato überhaupt keine Berührungspunkte hatte. Ist mir die manische Fankultur schon fremd, ist die Idolkultur nochmal ein ganz anderes Kaliber. Umso faszinierter und geschockter war ich also, als ich tiefer und tiefer in Akaris Geschichte eingetaucht bin, die in ihrer Knappheit beeindruckend dicht und intensiv erzählt wird. Was wir hier lesen, ist eine Besessenheit, die auch mit Blick auf das junge Alter der Protagonistin mehr als befremdlich und besorgniserregend anmutet. Und hier entfaltet »Idol in Flammen« seine ganz eigene und eigentliche Wirkung, denn Akari ist nur ein Symptom, eine von vielen im Fieberwahn einer milliardenschweren Popindustrie, die Geld durch die perfide finanzielle Ausbeutung und emotionale Abhängigkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen scheffelt. Dieser Roman zeigt leise und bedacht, aber nicht minder wirkungsvoll, wie zerbrechlich, beeinflussbar und steuerbar die Psyche junger Menschen ist, besonders in einer Welt, in der durch die Sozialen Medien eine Unmittelbarkeit der Dinge, eine Scheinwelt, eine angedeutete Nähe zu ihren Stars und Idolen kreiert wird und dabei doch eine Einsamkeit und Sucht erschafft, die Spuren hinterlässt. Gleichzeitig und zwischen den Zeilen bekommt hier aber auch die Kehrseite eine Stimme: Idole wie Masaki, die – von der Industrie effektiv gepusht und initiiert – von ihren Fans zu Halbgöttern stilisiert werden. Die auf eine Weise entmenschlicht werden, insofern, dass ihnen nichts vergönnt ist, das normal menschlich anmutet – keine Fehler, keine schlechten Tage, keine negativen Gefühle, kein Privatleben, keine Beziehungen, um ja nahbar, erreichbar, (ver)kaufbar, anhimmelbar zu bleiben. »Idol in Flammen« zeigt, wie ungesund, toxisch, krank dieses Kulturphänomen ist, wie ausbeuterisch gegenüber seinen Idolen und Fans und welcher Schaden, welche Leere damit angerichtet werden kann. Für alle Beteiligten. Ein intensives Buch, das ich so nicht erwartet hatte.
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