Rezension zu »Zugspitzgeist« von Anna Tröber
Emotional aufgelöst nach der Trennung von seiner Lebensgefährtin achtet Bezirksanwalt Clemens Hugo nicht auf die Geschwindigkeitsbegrenzung – oder vielleicht ist sie ihm auch nur egal. Als er sich dann bei der Radarkontrolle noch mit seiner Stellung als Bezirksanwalt rausreden will, reagieren die ortsansässigen Polizisten ungehalten und nehmen ihm kurzerhand den Führerschein ab. Hugo hat keine Wahl als über Silvester und Neujahr in Lähn zu bleiben, diesem verschneiten, kleinen, touristisch überlaufenen Örtchen im Tannheimer Tal an den Füßen der Zugspitze. Mit dem letzten Rest Akku bucht er sich ein Zimmer im Hotel Gamslechner Hof und lernt dort an der Bar die Journalistin Kerstin Schlegele kennen, die sich aktuell auf Recherchereise befindet. Während eines Schneespaziergangs am Neujahrsmorgen stolpert Hugo über die Leiche von Gregor Atzwanger, einem Tiroler Großunternehmer und nebst der Familie Gamslechner Mitinhaber der Zugspitzbahn, der begraben unter Kunstschnee aus seiner eigenen Beschneiungsanlage liegt. Was die örtlichen Behörden als Unfalltod einstufen, lässt Hugo aus einem Bauchgefühl heraus keine Ruhe. Also macht er sich kurzerhand selbst auf die Suche nach Antworten – solange er im Ort feststeckt, kann er sich schließlich auch nützlich machen. Seine Hotelbekanntschaft Kerstin bindet er nach und nach in seine Spurensuche mit ein, hofft er doch, dass ihr journalistisches Gespür die beiden voranbringen wird, denn die Ortsansässigen halten nichts davon, einem neugierigen Fremden Antworten zu geben, der seine Nase in Angelegenheiten steckt, die besser ruhen sollten. Dabei ahnt Hugo nicht, welche Konflikte und Geheimnisse unter der idyllisch anmutenden reinen Schicht aus Schnee schlummern und wie eng verwoben die heutigen Geschehnisse mit der Geschichte der Zugspitzbahn sind, die schon so manches Opfer gefordert und tiefe Spuren in der Familiengeschichte der Gamslechners und in der Gegend hinterlassen hat.
Manchmal ist das so ein Ding mit Erwartungen, sie sind ein Fluch und ein Segen zugleich. Nachdem Anna Tröbers Debütroman »Tiroler Totenglocken« mein absolutes Krimi-Highlight 2022 war, habe ich natürlich sehnsüchtig auf das Erscheinen von »Zugspitzgeist« hin gefiebert. Mit ganz viel Vorfreude habe ich angefangen zu lesen und wurde direkt von einem atmosphärisch starken, mitreißenden Prolog in Empfang genommen, der meine Erwartungshaltung noch weiter nach oben getrieben hat. Was dann folgte, war vollkommen okay, blieb nur leider hinter meinen Erwartungen zurück. Der Grundgedanke des Krimis, historisch relevante und einschneidende Geschehnisse aus der Geschichte der Zugspitzbahn an eine Familiengeschichte zu knüpfen und diese in Verbindung zu einem aktuellen Todesfall zu stellen, der sich zudem kritisch mit aktuellen Problemen der Gegend wie dem Massentourismus auseinanderzusetzen versucht, fand ich grandios und ist vom Inhalt her auch absolut meins. Jedoch wurden die historischen Elemente für meinen Geschmack nicht so recht in die Gesamthandlung eingebunden, es waren eher zwei Geschichten, die nebeneinander erzählt wurden, als eine zeitspannenübergreifende Ermittlung. Allgemein mangelte es mir für einen Krimi ein wenig an der tatsächlichen Ermittlung, die Ermittelnden stolperten eher über die Zusammenhänge zwischen den Zeiten als durch Geschick und Können darauf zu stoßen. Auch bei der historischen Nacherzählung fehlte mir der rote Faden. Hauptsächlich dadurch, dass die Kapitel wirklich nur auf die relevanten Kapitel in der Geschichte der Zugspitzbahn eingingen, um diese zu rekonstruieren und den Leser*innen greifbarer zu machen, als eine eigenständige, in sich runde und nachvollziehbare Familiengeschichte zu erzählen (die mit Sicherheit ein tolles Leseerlebnis geboten hätte). Dies führte, in Kombination mit den größeren Zeitsprüngen in der Historie dazu, dass mir die Verwandtschaftsgrade und -verhältnisse unklar blieben und ich diese Kapitel am Ende nochmal am Stück lesen musste, um zu verstehen, wer wer ist – ein Personenverzeichnis bzw. Stammbaum wäre hier sehr hilfreich gewesen. Die Nichtgreifbarkeit der Figuren war generell ein Thema, das sich für mich durchs Buch getragen hat: Einzig Ferdl als historisch wiederkehrender Charakter war für mich greifbar und menschlich, auch wenn ich ihn am Ende nicht ganz einordnen konnte in die Geschichte. Clemens Hugo blieb mir als Figur von Anfang bis Ende fremd, ich konnte keine wirkliche Verbindung zu ihm aufbauen, seine (nicht notwendigen) gedanklichen Ausschweifungen zur Verflossenen waren im Wesentlichen die einzigen Momente, in denen man mehr über ihn erfahren hat und doch wieder nicht, auf gewisse Weise blieb er sich übers Buch hinweg mit sich selbst über seinen Charakter uneins. All dies führte im großen Ganzen dazu, dass bei mir beim Lesen die Spannung ausblieb – die Geschichte kitzelte an der Neugier, sodass ich drangeblieben bin, hat sich aber nicht zu einer tragenden Spannungskurve entwickelt, die mich durch den Roman hätte tragen können. Das mag jetzt in der Fülle negativer klingen, als ich es beabsichtige, denn eigentlich ist das hier Kritik auf hohem Niveau. Anna Tröber kann schreiben, kann eine düstere, spannende Alpen-Krimi-Atmosphäre erschaffen, ausbauen und über einen Roman hinweg erhalten. Mit »Zugspitzgeist« hat sie mich aber leider nur mittelmäßig abgeholt. Was insofern schade ist, da in diesen Seiten jede Menge ersichtliches Potenzial steckt und schlummert, das für mich leider nicht ausgeschöpft wurde. Ein okayer Krimi für Zwischendurch, der mehr könnte.
..................................................................
Kommentare
Kommentar veröffentlichen