Rezension zu »Die Kunst des Verschwindens« von Melanie Raabe
»Glaubst du, eine Begegnung kann ein Leben verändern?«
Es ist diese Zeit zwischen den Jahren, in der alles zugleich stillsteht und doch möglich scheint. Eine magische Zeit mit einer ganz besonderen Stimmung. Die fühlt auch Fotografin Nico auf den verschneiten winterlichen Straßen Berlins. Doch obwohl sie diese Zeit normalerweise liebt, ist dieses Jahr alles anders. Weil sie etwas mit sich rumträgt, das sie bedrückt. Das raus muss und doch nicht kann. Noch nicht. Immer wieder in diesen Tagen begegnet sie zufällig der weltberühmten Schauspielerin Ellen Kirsch, die ihrerseits gerade aus New York nach Berlin gekommen ist und etwas zu verarbeiten hat. Die beiden kommen ins Gespräch, finden heraus, dass sie auf eine Art Zwillinge sind – geboren im selben Jahr, Monat, Tag. Neben ihrem Geburtstag teilen sie die Liebe zum Theater. Zwei Seelen, willkürlich zusammengeworfen. Aber vielleicht auch nicht willkürlich, denn die beiden spüren sie, eine Verbindung, eine Nähe, für die es keine Erklärung gibt und die doch da ist. Spontan verbringen die beiden die Silvesternacht gemeinsam. Es ist eine besondere Nacht, in der die Magie des Lebens fast greifbar erscheint. Nach dieser Nacht hört Nico nichts mehr von Ellen. Und warum sollte sie auch? Aber irgendwas lässt sie nicht los, dieses ungewisse Gefühl in ihr drängt sie dazu, Ellen wieder nahe zu sein. Doch Ellen ist spurlos verschwunden. Niemand weiß, wo sie ist, und das Internet dreht durch. Als Nico anfängt zu verstehen, was es ist, dass sie zu Ellen zieht, macht sie sich auf die Suche nach ihr. Und findet dabei auch sich selbst.
»Weil es manchmal leichter ist, mit Fremden zu sprechen als mit Menschen, die man liebt.«
Ich bin sehr froh, dass ich mir »Die Kunst des Verschwindens« für die Zeit zwischen den Jahren aufgehoben habe. Auch wenn ich dann schon nach einem Tag durch war, weil ich nicht aufhören wollte zu lesen. Es ist das perfekte Buch für diese Zwischenzeit, ein bisschen mystisch, ein bisschen magisch, ein bisschen düster und wohlig zugleich. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie fängt es die Stimmung dieser Jahreszeit perfekt ein, reproduziert sie und gibt sie einem in kleinen Dosen wieder, sodass man gar nicht anders kann, als sich fallen zu lassen. Dabei schafft es Raabe, zeitgleich leise und rasant zu erzählen, ein Strom, der sich ausbreitet und mitreißt. Vielleicht hätte es mir sogar ein bisschen weniger handlungsgetrieben sein dürfen, es passiert in der Summe dann doch sehr viel, aber auch nicht so, dass es überladen wirken würde. Ich mochte sie nur so gerne, diese Zwischentöne, das Gefühl hinter den Worten. Mir fällt auf, dass ich dieses Mal gar nicht so viel zu erzählen habe und das muss ich auch nicht, weil dieser Roman für sich selbst erzählt und nur so wimmelt vor Geheimnissen und Rätseln, die darauf warten, gelöst zu werden. Ich hab mich ganz ruhig gefühlt beim Lesen, eingekuschelt zwischen den Seiten, wissend, dass da Nico und Ellen auf mich warten. »Die Kunst des Verschwindens« ist ein sehr feines Buch, das einen unerwarteten Sog erzeugt hat, eine Wärme und Spannung und mich für eine Weile in eine Welt hat abtauchen lassen, in der magischer Realismus so wunderbar präsent ist. Einfach schön und perfekt für die Zeit zwischen den Jahren.
»Und in diesem Moment weiß ich sie, einen Wimpernschlag lang nur, die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, und als ich sie verstehe, muss ich lächeln.«
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