Rezension zu »Hinters Licht« von Åsa Avdic
»Im Nachhinein ist es immer leicht, ein Muster zu erkennen, selbst da, wo es eigentlich keins gibt.«
»Assistent für spiritistisches Forschungsprojekt gesucht« lautet die Anzeige, auf die Ruth Doran stößt. Eine zweite Chance auf die Verwirklichung eines längst aufgegebenen und doch nie vergessenen Traums? Das frühe 20. Jahrhundert ist keines, das die wissenschaftlichen Ambitionen von Frauen sonderlich fördert. Im Gegenteil. Und doch hat es Ruth durch Begabung, Hingabe und Unterstützung bis an die Universität geschafft. Ihr Herz schlägt für die Mathematik, im Studium geht sie auf. Doch dann heiratet sie und ihre Karriere erhält ein abruptes Ende. Eine Ehefrau habe andere Aufgaben, sagt ihr ihr Ehemann. Doch jetzt, im Jahr 1919, als dreifache Mutter und Witwe mit Geldsorgen, lockt die Anzeige vor ihr mit den Versprechungen eines Neuanfangs. Trotz anfänglicher Zweifel gibt Dr. Thomas Bradford ihr eine Chance. Ruth ist Feuer und Flamme – für die Forschung, die Wissenschaft und auch für Thomas Bradford, in den sie sich Hals über Kopf verliebt. Gemeinsam forschen sie an Möglichkeiten, Kontakt mit dem Jenseits aufzunehmen und arbeiten dafür auch mit Hellseher*innen und anderen Menschen zusammen, die behaupten, mit der übernatürlichen Seite kommunizieren zu können. Ein Unterfangen, das an Dringlichkeit gewinnt, als Bradfords kleine Tochter überraschend stirbt. Von nun an stürzt sich Bradford regelrecht in das Projekt und Ruth tut alles, was sie kann, um ihrer großen Liebe zu helfen – mit fatalen und ungeahnten Folgen.
»Ebenso heftig, wie sie sich in Thomas Bradford verliebt, verliebt sie sich auch in sich selbst, in die Ruth, die sie sein darf, wenn sie mit ihm zusammen ist. Er schenkt ihr ein vollkommen neues Leben.«
»Hinters Licht« ist die in Ansätzen wahre, aber fiktionalisierte Geschichte von Ruth Dorian und Thomas Bradford. Was diesen Roman noch faszinierender und interessanter macht als ohnehin schon. Auf seine eigene Art ist der Text ein Zeitzeugnis. Darüber, wie eng verbunden Wissenschaft und Spiritismus einst waren, eine Forschungsrichtung wie jede andere auch, vielleicht etwas verpönt und belächelt, aber mit von Universitäten wie privaten Förderer*innen ausgestatteten Geldern. In erster Linie ist dieser Roman jedoch eine Geschichte über eine Frau, die an ihren Träumen festhält in einer Zeit, in der man ihr allein wegen ihres biologischen Geschlechts jeden nur erdenklichen Stein in den Weg gelegt hat. Durch zahlreiche Rückblenden – im Wesentlichen besteht der Roman nur aus Ruths Tagebucheinträgen und Rückblenden in ihre Vergangenheit – erleben wir die prägenden Momente in Ruths Kindheit und Jugend, ihre Zeit an der Universität, ihre Verbannung ins Häusliche nach der Heirat, ihre Anpassungsschwierigkeiten in einer einsamen und lieblosen Ehe, den Tod ihres Mannes und ihr Aufblühen an der Seite von Thomas Bradford. Er scheint eine verwandte Seele zu sein, die Zeit mit ihm ist intensiv. Nur ihrem Tagebuch kann sie sich anvertrauen, schreibt dort all ihre geheimen, leidenschaftlichen Gedanken nieder. Ihr Leben scheint endlich mit Leben gefüllt, sie fühlt sich lebendig, mit Sinn. Und so lernt Ruth an der Seite von Thomas, dass es nie zu spät dafür ist, das eigene Leben in die eigenen Hände zu nehmen und das vorbestimmte Schicksal umzuschreiben. Und doch ist es ebenjene intensive Beziehung zu Thomas, die zur Stolperfalle für die eigentlich so rationale Ruth und deren Lebensweg wird.
»Ich bin mit meinem Leben so in dich eingetaucht, dass ich manchmal das Gefühl habe, ich bin in dir ertrunken.«
Zwischen den Experimenten auf der Suche nach Geistern entstanden für mich beim Lesen im mittleren Teil des Romans ein paar Längen und durch die Erzählform und die vielen Zeitsprünge, Rückblenden usw. habe ich manchmal etwas den Überblick verloren, wann und wo ich mich jetzt gerade befinde. Das Ende jedoch hat mich wieder in seinen Bann gezogen und »Hinters Licht« einen überraschenden wie passenden Abschluss verschafft: Die Lebensgeschichte einer starken Frau, die für Unabhängigkeit kämpft. Die liebt und begehrt, die leidet und hadert, zwischen den Geistern der Vergangenheit und denen der Gegenwart, zwischen Kontrolle und Kontrollverlust, Leidenschaft und Abhängigkeit.
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