Rezension zu »Wenn wir lächeln« von Mascha Unterlehberg
»Immer wieder trainieren wir uns darin, Schmerzen auszuhalten. Alle Schmerzen, die in uns drin stecken, alle, die mit großer Wahrscheinlichkeit noch vor uns liegen.«
Nachts auf einer stillgelegten Eisenbahnbrücke über der Ruhr. Jara steht da, starrt aufs Wasser. Eben ist Anto hineingesprungen und noch nicht wieder aufgetaucht. Sorgen macht sich Jara noch nicht, Anto ist schließlich Anto, wahrscheinlich erlaubt sie sich nur einen Scherz. Trotzdem, die Strudel sind gefährlich. Tödlich sogar. Und während Jara auf ein Lebenszeichen von Anto wartet, geht ihr bruchstückhaft alles durch den Kopf, das die beiden zu diesem Moment geführt hat, der so unausweichlich scheint. Vom Kennenlernen Mitte der Nullerjahre auf einem Fußballplatz über die Pubertät bis hin zu nächtlichen Ausflügen, Schulwechseln, Erwachsenwerden, Streits und Versöhnungen. Jara, Tochter einer hart arbeitenden, aber liebevollen und präsenten alleinerziehenden Mutter, aus einfachen Verhältnissen, deren Mutter auf ein besseres Leben für ihre Tochter hofft. Anto, unangepasst, direkt, selbstbewusst, aus wohlhabenden Verhältnissen mit einer ebenfalls alleinerziehenden Mutter, die durch Abwesenheit glänzt und Anto im Wesentlichen sich selbst überlässt, während sie in der Welt unterwegs ist. Zwei gegensätzliche junge Frauen, die sich gegenseitig ins Herz schließen, bei einander Halt finden, so unzertrennlich werden wie Schwestern. Schnell verbringen die beiden jede freie Minute mit einander, übernachten, reden, teilen Kleidung und Lipgloss. Werden älter, wagen mehr, werden wütend, schleichen sich nachts raus, gehen Sprayen, fangen an zu klauen, testen Limits, überschreiten Grenzen. Immer gemeinsam. Doch mit den Jahren und dem Älterwerden, erhält die einst so enge Freundinnenschaft Risse. Erst ganz leicht und unbemerkt, dann immer mehr. Bis beide an jenem Punkt auf der Eisenbahnbrücke landen und die Weichen für die Zukunft gestellt werden.
»Zusammenhalt ist der Deal, das ist es, woran wir glauben, und deshalb ist alles, was wir machen, für mich vor allem eins: die Möglichkeit, unsere Freundschaft noch ein bisschen größer werden zu lassen, noch ein bisschen glänzender.«
»Wenn wir lächeln« ist einer dieser Romane, die ganz heimlich, still und leise tief unter die Haut gehen. Es ist Jaras Geschichte, die wir hier ganz ungefiltert und direkt erzählt bekommen, so sprunghaft und bruchstückhaft wie Jaras Gedanken durch die Jahre treiben, einzelne Momente, die im Zentrum stehen, prägende, schöne, furchtbare. Ein Einblick in eine Jugend in den Nullerjahren, zwischen Glitternagellack, Schwimmbadpommes, Oberteilen mit Wasserfallausschnitt, Hoffnung, kindlicher Freude, Wut, Überforderung, Unwohlsein, Angst. Jaras Geschichte ist so echt. Sie schafft so viel Projektionsfläche für alle, die in diesem Zeitraum aufgewachsen sind. Zwei verlorene Jugendliche, die man in den Arm nehmen will, deren Geschichte schlucken lässt, traurig macht und wütend. Eine Geschichte, die mich so berührt hat, weil da so viel von mir selbst drin war. In den kleinen Dingen und den großen Gefühlen. Und erst jetzt, im Blick zurück, in Büchern wie diesem, erkennt man, wie stereotypisch, sexistisch und problematisch der gesellschaftliche Blick auf junge Frauen doch war. In Filmen, Musikvideos, im Fernsehen. Sexualisiert werden und sich selbst sexualisieren. Ein fremdbestimmter (Male) Gaze, den man annimmt, weil man sich ihm kaum bis nicht entziehen kann. Nicht wissen, wie man ausbrechen kann. Freundinnenschaften, die an der Jugend zerbrechen oder an Schulwechseln oder neuen Freund*innengruppen. Ausgenutzt werden, ausnutzen. Missbraucht werden und erst im Nachhinein verstehen, was passiert ist, weil die Aufklärung fehlt. Trotzdem schweigen, wegen der Scham und der Angst, in der Schule danach einen Stempel aufgedrückt zu bekommen, weil wer wird dir schon glauben. Geheimnisse, die den Keil weiter rein treiben in eine Schwesternschaft, die vorher heilig war. Zigaretten, Alkohol und Drogen, über die Stränge schlagen. Ein Körper, der sich nicht mehr richtig anfühlt, der plötzlich so präsent ist und den man doch nur verstecken, ungeschehen machen will. Eine Zukunft, die sich viel zu weit weg und gleichzeitig beängstigend leer anfühlt. Ein Leben im Dazwischen aus Kindheit, Jugend und Erwachsenwerden und doch nirgends mehr so wirklich verankert sein. So liest sich »Wenn wir lächeln« als ein fragmentarisches Abbild einer Jugend, die stellvertretend für eine Generation steht und die einen tiefe, ehrliche Gefühle fühlen lässt, wenn man sich einlässt auf Jaras Gedankenwelt. Nichts fühlt sich so endlos und furchtbar und grandios und beängstigend und schmerzhaft und unbesiegbar an wie die Jugend, wenn man mitten in ihr steckt. Nichts ist unvorstellbarer als der Gedanke daran, die beste Freundin zu verlieren. Nichts tut mehr weh als der Verlust.
»[U]nd ich denke, dass ich aufhören muss, immer alles so von außen zu betrachten, vor allem mich selbst.«
Ein authentischer, schmerzender, bereichernder, fordernder Roman über Freundinnenschaft und das Jungsein.
»Frisch und erschöpft zugleich, also jung und zerstört, also schön und verbraucht, wie Kate Moss zu ihren besten Zeiten.«
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