Rezension zu »Wie du mich ansiehst« von Eva Lohmann

»Alle wünschen sich schön zu sein – aber niemand will sich bei diesem Wunsch erwischen lassen.«

Nach dem Tod ihres Vaters Karl ist Johanna um das Erbe des geliebten Gartens reicher. Auf die neue, tiefe Sorgenfalte auf ihrer Stirn hätte sie jedoch verzichten können. Der Garten soll bleiben, auch wenn sie noch nicht weiß, was sie mit ihm machen soll, fehlt ihr doch eigentlich die Zeit dafür. Aber die Falte, die soll weg. Aus einem spontanen Impuls heraus, geht sie in eine Schönheitsklinik und sieht gebannt dabei zu, wie die Falte einfach so aus ihrem Gesicht verschwindet. Ein kleiner Nadelstich und schon sieht man nicht mehr, wie sehr sie der Tod ihres Vaters mitgenommen hat, sieht sie direkt ein paar Jahre jünger aus, frischer, hübscher, weniger verbraucht. Sie, die ihrer Teenagertochter immer predigt, dass Schönheit von Innen komme und das Äußere perfekt sei, wie es eben ist, sieht sich plötzlich mit ihrem eigenen Ego konfrontiert. Denn in ihren 40ern ist Johanna zum ersten Mal mit der Unsichtbarkeit konfrontiert, mit dem Gefühl, nicht mehr jung genug zu sein. Ihrem Mann Hendrik fällt ja noch nicht mal auf, dass die Falte weg ist. Wann hat er sie eigentlich das letzte Mal wirklich bewusst angeschaut und wahrgenommen? Auf der Straße schauen ihr die Männer nicht mehr hinterher. Eigentlich etwas Angenehmes und Wünschenswertes, aber gleichzeitig ein Symptom. Ihre Tochter Rosa braucht sie zunehmend weniger, ihre Mutterrolle fällt damit auch immer mehr von ihr ab und hinterlässt ein Loch fürs Frausein, das jedoch weit weg ist von dem Gefühl vor der Schwangerschaft. Und auch in ihrem Blumenladen ist nicht mehr sie die, die frischen Wind ins Geschäft bringt, sondern ihre deutlich jüngere Mitarbeiterin Ruby. Ob sie schon einmal über die Fältchen an ihrem Mund nachgedacht habe, fragt sie der Schönheitschirurg. Hat Johanna nicht. Bis jetzt. Während Johanna zunehmend die Kontrolle darüber zu verlieren scheint, was sich bis vor kurzem noch selbstverständlich angefühlt hat, findet sie im Garten ihres Vaters einen Zufluchtsort, eine Oase der Ruhe und ein Örtchen, an dem Äußerlichkeiten keine Rolle spielen. Langsam verarbeitet Johanna nicht nur den Verlust des Vaters, sondern auch den Verlust ihrer Jugend, stellt fest, dass das Leben so viel mehr bereithält als faltenfreie Gesichter und die Idealisierung der Jugend.

»Sich in einem Leben voller Widersprüche zu bewegen, ohne sich dabei zu verlieren.«

Wenn Eva Lohmann mit »Das leise Platzen unserer Träume« eins bewiesen hat, dann, dass sie ein Gespür dafür hat, die leisen Momente des Lebens auf eine ganz große Bühne zu stellen. Dieses Feingefühl findet sich in »Wie du mich ansiehst« wieder und macht diesen Roman zu einem ganz wohligen und wohltuenden Leseerlebnis. Wir begleiten Johanna durch die Irrungen und Wirrungen des Alltags, der so wunderbar trivial und normal ist, dass wir uns alle auf die ein oder andere Art darin wiederfinden. Die Teenagertochter, die zum ersten Mal betrunken nach Hause kommt. Der Job, der schon mal ein wenig mehr Spaß gemacht hat. Eine Mutter, zu der man ein wenig die Verbindung verloren hat. Ein Ehemann, der einen mehr aus Gewohnheit wahrnimmt als aus ehrlichem Interesse. Tochter, Mutter, Ehefrau, Freundin, Selbstständige, Chefin sein – und dabei nicht sich selbst zu vergessen. Gar nicht so leicht. Erst recht nicht in einer Welt, die die Jugend vergöttert und Frauen zu gerne anhand ihres Äußeren bewertet. Wer könnte ihr verdenken, dass sie sich wieder schön fühlen will? Wer kann ihr verdenken, dass sie Schönheit als eine äußere Zuschreibung anderer gemessen an ihren Reaktionen definiert? Da kommen wir alle her, da müssen wir weg von. Ein Lernprozess, den Johanna unfassbar nahbar und ehrlich durchlebt. Und wir mit ihr. Wir leiden mit ihr, wenn eine Schönheitskorrektur anders verläuft als erhofft. Auch uns fehlen die Worte, dem Mann und der Tochter zu erklären, was eigentlich los ist. Und wir sind dabei, als Johanna im Garten ihres toten Vaters zur Ruhe kommt und langsam Frieden findet, Frieden macht mit sich und dem Altern und dem Leben und der Welt.

»Vielleicht ist es jetzt ihre Aufgabe, ihren Körper zu lieben auch ohne Bestätigung von außen, dass er es wert ist.«

Was »Wie du mich ansiehst« uns bietet, ist ein ruhiger, entschleunigender, gefühlvoller Text über eine Frau, die in ihren 40ern neu lernen muss, sich kennenzulernen und vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich und wahrhaftig selbst lieben zu lernen. Ein schöner, leichter Roman voller Tiefgang, echten Momenten und der wohltuenden Kraft der Natur. Es ist nie zu spät, neue Wege einzuschlagen. 

»Neue Dinge können nur wachsen, wo es einen Platz dafür gibt.«




..................................................................

Daten zum Buch
Titel: Wie du mich ansiehst
Autor*in: Eva Lohmann
Sprache: Deutsch
Verlag: Eisele
Hardcover | 240 Seiten | ISBN: 978-3-96161-250-5

Kommentare