Rezension zu »Hunchback« von Saou Ichikawa
»Wenn ich – eins fünfundsechzig, Spross hochgewachsener, bildschöner Eltern mit Black Card – gesund gewesen wäre, hätte ich die Welt erobern können.«
Shaka Izawa Leben spielt sich in einem Zimmer in einem Pflegeheim am Rande Tokios ab. Ihre angeborene Muskelerkrankung, die eine schwere Wirbelsäulenkrümmung nach sich zieht, ständiges Umlagern, viel Zeit im Liegen bzw. im elektrischen Rollstuhl und ein Beatmungsgerät notwendig macht, dominiert ihr Sein seit ihrer Kindheit. Es ist ein Leben am Rand der Gesellschaft. Ein Leben, dessen Qualität ihr ihr Körper vorgibt. Ein Leben voller Einschränkung, Entbehrung und unfreiwilligem Verzicht. Doch während ihr Körper sie einengt, ist ihr Verstand scharf und frei. Sie studiert online, veröffentlicht unter Pseudonym erotisch-pornografische Kurzgeschichten im Internet und postet auf Twitter provokante Aussagen wie »Im nächsten Leben werde ich Edelnutte.«. Was Shaka Izawa sucht, wonach sie sich sehnt, ist nichts weniger als das authentische, autonome Leben als Frau, die damit einhergehende körperliche Erfahrung eingeschlossen. Und so fasst sie eine Entscheidung, die für manche verwerflich und fragwürdig klingen mag, für Shaka Izawa aber die größtmögliche Annäherung an ihr Begehren bedeutet: So kann ihr Körper zwar kein Kind austragen und verwehrt ihr damit diese Erfahrung, doch schwanger werden und abtreiben lassen, dazu ist ihr Körper in der Lage. Alles, was sie dafür braucht, ist Sperma. Und so macht sie ihrem neuen Pfleger ein unmoralisches Angebot.
»Wie eine normale Menschenfrau ein Kind empfangen und abtreiben – das ist mein Traum.«
»Hunchback« ist ein Roman, der anders ist. Der auf eine Art direkt und schonungslos ist, die gewürdigt werden muss. Es ist ein kurzer, knapper Roman, unter 100 Seiten, und doch steckt zwischen den Zeilen und in den Worten jede Menge, auch wenn ich mir vielleicht noch etwas mehr Ausführlichkeit gewünscht hätte. Was wir hier zu lesen bekommen, ist eine Own-Voice-Geschichte. Ist die Lebensrealität einer Personengruppe, die unsere Gesellschaft – die westliche nicht minder als in diesem Fall die japanische – gerne an die Seite drängt und ausblendet. Denn die Autorin selbst hat ebenjene angeborene Krankheit, die sie ihrer Hauptfigur verpasst. Die Details der körperlichen Einschränkung und Anpassung, der notwendigen Pflege sind direkt, hier wird nichts umschrieben oder beschönigt, nein, hier erfahren wir, wie es sich wirklich anfühlt. Hier erfahren wir, wie es sich anfühlt, an den Rand der Gesellschaft gedrängt zu werden. Auf die körperliche Einschränkung reduziert zu werden. Wie sich dies auf die Auffassung und Wahrnehmung von Weiblichkeit, Sexualität, Erotik und Intimität auswirkt. Und wir erleben – ebenso direkt und ehrlich – die Weigerung einer Frau, sich eben nur auf einen Körper begrenzen zu lassen, der nicht einer gesellschaftlich definierten Norm entspricht. Shaka Izawa Verstand ist messerscharf und frei, ihre Begehren die einer Frau, die sich losgelöst von ihrer körperlichen Hülle nach all dem sehnt, wonach sich ein Mensch sehnen kann und darf. Berührung, Zärtlichkeit, Sex, Gesehenwerden. Nein, Shaka Izawa lebt zwar am Rand der Gesellschaft, aber sie lässt sich nicht in die Unsichtbarkeit drängen. Sie ist präsent. In der Äußerung ihrer Wünsche ebenso wie in ihren Alter Egos, die sie an ihrer statt online und im Fiktiven in sexuelle, zwischenmenschliche Erfahrungen schickt. Sie ist präsent darin, sie selbst zu sein – schonungslos, ohne Scham und Entschuldigung für die Person, die sie ist und sein will. Mit scharfem Blick und schwarzen Humor führt »Hunchback« seinen Leser*innen vor, wie präsent Ableismus und Sexismus noch immer sind, wie wir als Gesellschaft Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung betrachten, welche Rollen wir ihnen zugestehen. Dabei ist »Hunchback« Weigerung und Aufschrei, notwendige Selbstermächtigung, das Erheben der eigenen Stimme und diese tiefe, feministische, machtvolle Weigerung, sich in eine Rolle drängen zu lassen. Weder als Frau noch durch den Körper. Poetisch, direkt und mit so viel Feingefühl wie scharfer Beobachtungsgabe zeigt Ichikawa in ihrem Roman, was Menschsein wirklich ausmacht, worauf es wirklich ankommen sollte.
»Ich zerbreche, um zu leben.«
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