Rezension zu »Swift River« von Essie Chambers
Swift River im Sommer 1987. Und die 16-jährige Diamond kämpft. Mit ihrem Übergewicht. Mit dem fehlenden Anschluss bei Gleichaltrigen. Mit dem Gefühl, ausgeschlossen und Außenseiterin zu sein. Mit den ständigen Hänseleien wegen ihres Gewichts. Damit, die einzig verbliebene Schwarze Person in der Stadt zu sein. Mit den ständigen Alltagsrassismen wegen ihrer Hautfarbe. Mit dem Verlust ihres Vaters, der schon vor Jahren spurlos im Fluss verschwunden ist und der nun von auf Wunsch ihrer Mutter offiziell als tot erklärt werden soll, um an das dringend benötigte Geld seiner Lebensversicherung zu kommen. Mit dem Gerede in der Stadt, das das Verschwinden ihres Vaters ausgelöst hat und nie ganz verstummt ist. Mit all den Fragen zum Verbleib ihres Vaters. Verschwand er freiwillig? Wurde ihm etwas angetan? War es Selbstmord? Musste er untertauchen? Und warum, falls er noch lebt, meldet er sich nicht? Während sie ihren Vater vermisst und sich an die gemeinsame schöne Zeit erinnert, scheint doch auch immer wieder die Erinnerung an weniger schöne Momente durch. An seine schwankenden Launen, besonders unter Alkoholeinfluss, seine erhobene Stimme, die Griffe, die zu fest waren und weh taten, das Streiten ihrer Eltern, die zeitweise Angst im Blick ihrer Mutter. Der Erhalt eines Briefs von einer Familienangehörigen, von deren Existenz Diamond nichts wusste, wirft nur weitere Fragen auf. Liefert zugleich aber auch die Chance, endlich Antworten zu erhalten – über ihren Vater, ihre Familiengeschichte und ihre Wurzeln.
Es fällt mir seltsam schwer, »Swift River« in Worte zu fassen. Es ist einerseits eine sehr persönliche Geschichte, erzählt andererseits aber von etwas viel Größerem. Es entfaltet nicht wirklich einen Sog und lässt einen trotzdem nicht mehr so recht los. Auf verschiedenen Ebenen erzählt »Swift River« von Identität und Identitätssuche. Zu Beginn der Geschichte erleben wir Diamond als unsichere junge Frau, verloren, strauchelnd unter dem Gewicht ihres Körpers und dem Gewicht der Einsamkeit. Eine junge Frau, mit einem Kopf ohne Träume, dafür mit umso mehr Fragen. Was geschah mit ihrem Vater? Was geschah mit ihrer Familie? Was wurde aus all den Schwarzen, die einst in Swift River gelebt haben? Wo gingen sie hin und warum? Wer ist sie, die sie sich selbst nicht zu fassen und zu fühlen bekommt, die Zeit ihres Lebens wegen ihres Gewichts und ihrer Hautfarbe als »anders« herausgestochen ist und für beides Abneigung widerfahren hat? Doch im Lauf des Romans passiert etwas mit Diamond. Schleichend, fast unbemerkt und doch ganz wunderbar: Denn Diamond findet unerwartet Anschluss, ein Ziel, einen Traum und durch den aufkommenden Briefkontakt zum väterlichen, Schwarzen Teil ihrer Familie endlich auch Antworten auf die Fragen nach ihrer Identität. Es ist eben jene persönliche Familiengeschichte und zugleich eine überindividuelle Black History, die nötig ist, um zu verstehen, wer sie ist, woher sie kommt, wer sie sein will. Leerstellen, die nur die Geschichte füllen kann. Kleine wie große Momente der Selbstentfaltung und Selbstermächtigung, wachsendes Selbstvertrauen, Selbstwert, wachsender Purpose. Und so bleibt mir »Swift River« in Erinnerung: Als feiner, leiser, starker Roman über eine junge Frau, die zu sich selbst findet, indem sie ihre Geschichte findet und für sich selbst fortschreibt. Eine Geschichte über das Jungsein, das Frausein, das Schwarzsein. Erinnerung. Resilienz. Empowerment.
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