Rezension zu »Wie es mir gefällt« von Deepa Paul

»Ich sehnte mich danach, dass mein sexuelles Ich von dem Mann gesehen und akzeptiert wurde, mit dem ich mein Leben verbringen wollte.« 

»Los, frag mich, wie das funktioniert.« Dieser Satz steht im Tinder-Profil von Deepa Paul und bezieht sich auf die offene Ehe, die sie und ihr Mann Marcus inzwischen seit acht ihrer siebzehn Ehejahre führen. »Wie funktioniert das?« ist eine der häufigsten Fragen, die Deepa von Bekannten und Freund:innen, aber auch von möglichen Sexualpartner:innen gestellt bekommt, die davon erfahren. Auf diese Frage gibt es keine kurze Antwort, denn diese Frage besteht aus vielen kleinen Fragen, die sich immer anders ergeben, neu beantwortet werden müssen, sich im Laufe der Jahre verändern. Und weil »Wie funktioniert das?« nicht mit einem Satz beantwortet werden kann, dieses Beziehungsmodell – schon, um die Neugier der Fragenden zu beantworten – Aufmerksamkeit verdient, zeigt Deepa Paul uns die Antwort in »Wie es mir gefällt« ganz einfach, indem sie uns ganz persönlichen Einblick in ihre Ehe gewährt – vom ersten Kennenlernen über die Anfänge ihrer Beziehung und die monogamen Jahre ihrer Ehe, über ihre Schwangerschaft, den Alltag als Eltern und Deepas Affäre, der damit verbundenen Ehekrise, dem Schritt des Öffnens der Ehe in beiderseitigem Einverständnis und den Höhen und Tiefen sowie den Herausforderungen, aber auch schönen Momenten des Auslebens der eigenen Sexualität in einer nicht-monogamen Beziehung bis hin zum Punkt des Buchschreibens. Den Kapiteln vorangestellt ist dabei jeweils eine der meistgestellten Fragen in Bezug auf ihre offene Ehe, die Deepa ehrlich und differenziert beantwortet und uns damit in der Gänze des Buches eine Möglichkeit aufzeigt, wie eine offene Ehe und nicht-exklusives Begehren nicht nur funktionieren, sondern eine regelrechte Bereicherung für die Ehe, Sexualität, Identität und das Leben sein können. 

Ich gebe es zu: Ich habe mich ein wenig in »Wie es mir gefällt« verliebt. Warum? Weil ich das Gefühl habe, Deepa, Marcus und ihre Beziehung im Wandel der Zeit wirklich kennengelernt zu haben. Wir sind bei Bett- wie Streitgesprächen dabei, bei den Momenten der vertrauten Intimität zwischen zwei Menschen, die schon lange ein Leben teilen genauso wie bei den Ehetherapiesitzungen. Wir gehen mit Deepa auf erste Dates, in Nachtclubs, ins Bett mit Tinder-Bekanntschaften, wieder nach Hause zur Familie. Wir bekommen einen tiefen Innenblick in Deepas Gefühls- und Gedankenwelt, erleben die Einsamkeit, die mit dem Umzug in eine fremde Stadt, ja auf einen ganz fremden Kontinent einhergeht. Die Einsamkeit, die mit der Mutterschaft einhergeht. Das Sehnen nach mehr. Das sich Stürzen in eine Affäre, obwohl uns die möglichen Konsequenzen bewusst sind, aber dieser Lebenshunger, der ist einfach so groß. Wir erleben, wie Deepa nach und nach einen gesunden Zugang zu ihrem Begehren findet, sich traut, dieses auch gegenüber Marcus zu äußern. Wir erleben diesen inneren Widerspruch zwischen der strengkatholischen Erziehung auf den Philippinen und dem nicht zu leugnendem Sehnen nach Erfahrungen, nach Sex, nach Körpern und Berührungen. Wir erleben hautnah, wie belastend Deepas Affäre und auch der Wunsch nach einer offenen Ehe für die Ehe zwischen ihr und Marcus war, wir sehen die Stellen, an denen alles in die Brüche hätte gehen können. Aber wir erleben genauso sehr und hautnah das Erlernen von gegenseitiger Akzeptanz, Zuhören, Nachfragen – und, vor allem, von Vertrauen. Ein Urvertrauen in die Stabilität der Beziehung und die gegenseitige Liebe, die es erst möglich macht, nebeneinander und miteinander zu wachsen, sich weiterzuentwickeln, sich auszuleben. Die Chance auf eine Ehe voller Wachstum statt endloser Kompromisse und dem Gefühl, dass etwas fehlt.

»Es ist praktisch unmöglich, dass ein einziger Mensch alle Bedürfnisse eines anderen erfüllen kann.« 

Kein Mensch kann alle Bedürfnisse eines anderen Menschen befriedigen. Wir akzeptieren das, solange es um platonische Beziehungen in Familien, mit Freund*innen, Arbeitskolleg*innen usw. geht. Ein soziales Umfeld, das sich auf mehr als eine Person konzentriert, ist so wichtig wie gesund. Dass wir als Gesellschaft Scham und Unverständnis herantragen, sobald sich diese außerehelichen Beziehung auf sexuelles Begehren und nicht-platonische emotionale Beziehungen ausbreiten, ist keine Unverrückbarkeit, sondern über jahrhundertehinweg tradierte Vorstellungen an Ehe und an Ehe gebundene Monogamie, die – und hier verlasse ich den Inhalt des Buchs und bediene mich an Friederike Ortels »Urlaub vom Patriarchat« – dazu erfunden wurde, »um die rechtliche, wirtschaftliche und politische Entrechtung der Frau juristisch festzuschreiben und zu verankern.«

Warum also liebe ich »Wie es mir gefällt«? Ganz einfach: Weil mir dieses sehr ehrliche, sehr persönliche Buch, das mehr Erfahrungsbericht ist als Sachbuch und nie die Gefühls- und Erfahrungswelt von Deepa Paul verlässt, Hoffnung macht und Mut. Denn es zeigt, wie eine glückliche, in emotionaler wie sexueller Hinsicht erfüllende, vertrauensvolle Beziehung zwischen zwei sich liebenden Menschen auch aussehen kann. Es zeigt, dass es Raum gibt für Begehren, Entwicklung, Menschen. Große Leseempfehlung – egal, ob ihr euch für das Konzept einer offenen Beziehung interessiert, oder nicht. Denn »Wie es mir gefällt« ist genauso gut ein unglaublich faszinierend schönes wie lehrreiches Abbild dessen, wie wichtig Kommunikation in einer Beziehung ist und wie positiv es sich für alle Beteiligten auswirkt, wenn man einen Weg findet, offen und ehrlich miteinander zu reden – über die Beziehung, das Leben, Begehren, Träume, Ängste und Hoffnungen. Für mich war »Wie es mir gefällt« eine absolute Bereicherung.

»Vielleicht war Liebe in ihrer reinsten Form ja eine Art von Wiedererkennen: tiefe Wertschätzung für das, was einen Menschen überhaupt erst liebenswert macht, frei von dem Bedürfnis, ihn besitzen zu wollen.« 




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Daten zum Buch
Titel: Wie es mir gefällt
Autor*in: Deepa Paul
Sprache: Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt von Janine Malz & Christiane Burkhardt
Verlag: Hanser blau
Hardcover | 400 Seiten | ISBN: 978-3-446-28105-9

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