Rezension zu »Zwei Tage im Sommer« von Lukas Pellmann
»Es fing immer mit einer Verrohrung der Worte an. Nur aus verrohten Worten konnten Taten werden.«
Simone und Thorsten verbringen mit ihrer siebenjährigen Tochter Nicola ihren Sommerurlaub 2031 in Krottenthal am Neusiedler See. Doch von idyllischen Urlaubstagen kann keine Rede sein: Die Stimmung zwischen Simone und Thorsten ist getrübt, schon eine Weile lang, und die politische Situation zwischen Österreich und Ungarn spitzt sich zunehmend zu, besonders im Grenzgebiet am Neusiedler See. Während Thorsten an seinem Optimismus festhält, sieht Simone die Zeichen und besteht auf die verfrühte Rückreise. Sie soll trotzdem zu spät sein. Der Großteil der Gegend ist bereits evakuiert. Die Lage eskaliert, ein Krieg bricht aus – und die Drei befinden sich unerwartet mittendrin. Niemand schert sich darum, dass sie Deutsche sind, gemeinsam mit den verbleibenden Burgenländer*innen versuchen sie, zu überleben. Für Simone steht die Sicherheit von Nicola an erster Stelle, bei allem was sie tut. Wie erklärt mensch einem Kind, dass aus dem freudigen Sommerurlaub ein Kampf ums Überleben wurde? Balász Varga steht auf der anderen Seite, als ungarischer Soldat, der in Krottenthal zur feindlichen Übernahme der Gegend stationiert wurde, verkörpert er für Simone den Aggressor. Und doch entpuppt sich der naturverbundene junge Mann, der sich ebenso unfreiwillig wie Simone in einer Situation befindet, über die er keinerlei Kontrolle hat, als unerwarteter Verbündeter im verzweifelten Versuch, Nicola in Sicherheit zu bringen. 2056, 25 Jahre später, erinnern sich nur noch wenige an diese Zeit. Zu viel ist seitdem passiert, auf nationaler und internationaler Ebene. Größeres als diese neun Tage, in denen Krieg und Chaos im Burgenland herrschten. Doch die, die sich erinnern, sind in Hamburg zusammengekommen, um den damaligen Ereignissen zu gedenken. Eine der Anwesenden ist Nicola, deren Leben nach den Erlebnissen nie mehr dasselbe sein sollte. Interviewt von der Journalistin Svenja, die an diesem Tag eigentlich über ein ganz anderes Event berichten wollte und persönlich einiges zu verarbeiten hat, erzählt Nicola ihre ganz persönliche Geschichte – und offenbart dabei ein ungeahntes Geheimnis über diese zwei Tage im Sommer 2031.
»Menschen lernen aus der Geschichte, die Menschheit tut das nicht.«
Mit »Zwei Tage im Sommer« entführt Lukas Pellmann seine Leser*innen in eine Zukunftsdystopie, die sich trotz aller Fiktion erschreckend real anfühlt. Die Geschichte wird aus den Perspektiven von Simone, Balázs und Svenja erzählt und schafft so ein eindrückliches Gesamtbild des Schreckens, aber auch der Hoffnung, den diese kurze Zeit im Leben der Figuren hinterlassen hat. Bei Simone und Balázs sind wir mit dabei, vor Ort, mittendrin im Kriegsgeschehen. Da ist Simone, die die eigene Panik und Verzweiflung zu verdrängen sucht, um ihre Tochter zu retten – und dabei eine nie geahnte Kraft und Stärke entwickelt. Da ist Balázs, der nicht kämpfen möchte, der angewidert ist von der Mordlust in den Augen einiger seiner Kameraden. Der den Mut findet, sein eigenes Leben zu riskieren, um dieser kleinen Familie zu helfen – um das Richtige zu tun. Beide sind hineingeworfen in einen Krieg, der nicht ihrer ist, und sie doch unmittelbar betrifft. Im Fall von Simone und Balázs gilt das ganz körperlich – und doch gilt dies auf einer anderen Ebene für uns alle. Ein Krieg, egal wie nah oder fern, betrifft die Menschheit als übergeordnetes Individuum. Hinterlässt Spuren in den Herzen, in der Politik, in der Geschichte, in der kollektiven Erinnerung. Damit wird Svenja konfrontiert – mit ihrem Unwissen ob eines Ereignisses in so greifbarer Nähe zu ihrem Zuhause. Und auch wenn Svenja als Figur mehr Mittel zum Zweck ist, um Nicolas Geschichte zu erzählen, spielt Svenja als Mensch doch eine zentrale Rolle, übernimmt sie in der Geschichte eine wichtige Funktion: Denn sie beginnt, nachzudenken, nachzufragen, das große Ganze zu sehen und wachsam zu sein für die Entwicklungen der Welt. Und obwohl uns der Roman mittenhinein zieht in das Grauen des Krieges, wir zwischen blutigen Leichen stehen und nicht wissen, ob wir den nächsten Tag erleben, spendet er uns Hoffnung und Trost. Denn wir wissen, dass Nicola überlebt hat, dass sie eine Geschichte zu erzählen hat über Familie, Menschlichkeit, Mut und Aufopferung. Die Geschichte einer Zeitzeugin eines Krieges, den es so hoffentlich nie geben wird und doch schon viel zu oft gegeben hat.
»Wir Einzelne können den Gang der großen Geschichte nicht aufhalten oder beeinflussen. Aber wir können im Kleinen reparieren, was im Großen zerstört wurde.«
»Zwei Tage im Sommer« entwirft eine beklemmend realistische Zukunftsvision, die Raum zur Auseinandersetzung eröffnet und uns im Schutz der Geschichte verstehen lässt, was niemals Wirklichkeit werden darf – berührend, kraftvoll und eindrücklich erzählt. Schließlich gilt es, einen Kreislauf des Vergessens zu durchbrechen. Um vermeidbare Kriege zu vermeiden, um die demokratischen Werte unserer Gesellschaft zu retten und zu verteidigen, um eine Zukunft zu schaffen, die offen auf ihre Wunden blicken kann anstatt einen Schleier des Schweigens über ihnen auszubreiten, um aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen – um es besser zu machen, endlich mal.
»Solange Menschen im Gespräch bleiben, habe ich Hoffnung.«
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