Rezension zu »Der Traum des Jaguars«
Antonio Borjas Romero wird am dritten Tag seines Lebens auf den Stufen einer Kirche in einer Straße in Maracaibo ausgesetzt, die heute seinen Namen trägt. Doch als eine stumme Bettlerin das neugeborene Waisenkind findet und mitnimmt, ahnt niemand, dass Antonio einst zu einem der berühmtesten Männer Venezuelas werden wird. Antonio, der in ärmlichen Verhältnissen aufwächst, lernt schnell, wie das Leben funktioniert. Bereits in jungen Jahren weiß er die sich bietenden Chancen zu ergreifen und nach verschiedenen Zwischenstationen als Hafenarbeiter und Junge für alles im bekanntesten Bordell des Landes, schafft es Antonio, Zugang zu Bildung zu erhalten und Arzt zu werden. Auf seinem Weg lernt er Ana Maria kennen, eine ambitionierte junge Frau, deren Herz wie seines für die Medizin brennt. Zwischen den beiden entbrennt eine Liebesgeschichte und eine gleichberechtigte Beziehung, in der beide ihren jeweiligen Ambitionen und Träumen folgen und entscheidend für den medizinischen Fortschritt und die Versorgung in Venezuela sein werden – er in der Allgemeinmedizin, sie in der Gynäkologie. Während die beiden sich einen Namen machen, wandelt sich Venezuela unaufhörlich durch die gesellschaftlichen und politischen Umbrüche der Zeit und Lateinamerikas. Inmitten der Revolution werden die beiden Eltern, für ihre Tochter, die sie nach ihrem geliebten Land benennen, erhoffen sich Antonio und Ana Maria das Beste – und eine Laufbahn als Ärztin. Doch Venezuela hat andere Pläne, sie träumt von Freiheit und Paris.
»Der Traum des Jaguars« klang vielversprechend, ich hatte auf eine Art Geschichte wie »Violeta« von Isabel Allende gehofft. Und einerseits trifft dies zu, denn wir Lesenden erhalten einen tiefen Einblick ins Venezuela des 20. Jahrhunderts – gesellschaftlich, innerpolitisch, weltpolitisch. Aufstände, Revolutionen, Umbrüche, die Auswirkungen der Weltkriege – wir sind dabei und erleben es anhand der Familiengeschichten rund um Antonio und Ana Maria mit. Interessant, ja, und auch mit dem Potenzial, mitreißend zu sein. Aber, leider, und das ist mein großes Problem mit dem Roman, war es das eben nicht. Denn anstatt eines fesselnden Familienepos, der mich hautnah mitfühlen lässt, wie die Familienmitglieder, die wir kennenlernen, sich durchs Leben und die inneren wie äußeren Umstände manövrieren, war »Der Traum des Jaguars« mehr Familienchronik als Roman. Die Emotionen blieben aus, der Tiefgang blieb aus, ich blieb immer außenstehende Beobachterin und so langweilte mich diese Geschichte leider zunehmend, anstatt mich zu unterhalten und mitzunehmen auf eine Reise durch die Zeit und in ein Land, das in der Literatur(übersetzung) noch unterrepräsentiert ist. Bis zum Ende hin konnte mich der Roman nicht für sich einnehmen und wird für mich aufgrund seiner emotionalen Distanz wohl leider schnell in Vergessenheit geraten.
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