Rezension zu »Hundesohn« von Ozan Zakariya Keskinkılıç

»Er wird mich vergessen, so wie er mich jedes Mal vergisst, nachdem er mich erst verschlungen und dann ausgespuckt und wiedergekäut hat, wenn ihm langweilig ist und er jemanden braucht, der ihn braucht.«

Dies ist eine Liebesgeschichte. Sie handelt von Zeko, der in Berlin lebt. Und von Hassan, der in der Türkei lebt, in Zekos Heimatort Adana. Als Kind kam Zeko mit seinen Eltern nach Deutschland, seine Sommer jedoch gehören Adana. Zeko kennt Hassan seit die beiden Kinder sind, Nachbarsjungen. Hassan, der nach Orangen und Salz riecht, ist Zekos Nordstern, Fixpunkt seines Begehrens, seiner Zuneigung und Liebe. Immer ganz nah und doch unerreichbar weit weg. Zekos Großvater nannte Hassan immer »Hundesohn«, warnte Zeko vor ihm. Jetzt ist sein Großvater tot. In neun Tagen wird Zeko Hassan endlich wiedersehen. Ein Mantra, an das Zeko sich klammert, während er in Berlin einen Mann nach dem anderen trifft. Er lernt sie Grindr kennen, trifft sie in Cafés, Parks, bei ihnen und sich zuhause, eigentlich egal wo, Hauptsache, es geht zur Sache. Es ist Sex und des Fickens willen, es ist Sex, um zu vergessen, zumindest für den Moment. Denn es ist etwas geschehen, im letzten gemeinsamen Sommer zwischen Zeko und Hassan. Etwas, das mit den langsam, wie Honig zähfließend vergehenden Tagen doch unaufhörlich näher rückt und sich durch Zekos Gedanken, Erinnerungen und sexuellen Fluchtversuche Bahn an die Oberfläche bricht.

»Ich bin genug, ich bin wertvoll. Fast hätte ich es geglaubt.«

Dies ist eine Liebesgeschichte. Modern, zerrissen, anders. Eine Geschichte über die Liebe zu sich selbst, über die Liebe zur Heimat, über die Liebe zu einem anderen Menschen. Kompliziert, verworren, stark. Und so folgt »Hundesohn« keinen Regeln, sondern nur sich selbst. Die Erzählung ist zerrissen, bruchstückhaft und fragmentarisch, ein Fiebertraum in Erzählform. »Hundesohn« springt zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Gedanken und Erlebtem, zwischen Deutschland und der Türkei, zwischen Grindr-Chats, casual sex, Geschlechtskrankheiten, Gefühlen, Begehren und Liebe, Sucht und Abhängigkeit, zwischen Modernität und Tradition, zwischen Queerness und Religion. Es ist eine Geschichte über das Potenzial von Lust und Freiheit und Scham von Sex, über Vaterfiguren und vorgelebte toxische Männlichkeit, über Familie und die Sehnsucht nach elterlicher Zuneigung, über Othering und Rassismuserfahrungen, über den Clash von Male Privilege und das Leben als PoC in einem westlichen Land. Es ist auch die Geschichte von Pari, Zekos bester Freundin, die ihn immer wieder herausfordert durch ihre Gedanken, ihre Direktheit, ihre weibliche Perspektive. Sie hält ihm einen Spiegel vor und wird so zu seinem Ankerpunkt in Gegenwart und Realität.

»Du bist ganz du, wenn wir sprechen, aber ich bin nicht halb, nicht viertel, ich bin ein verschüttetes Glas auf dem Tisch, und ich verschämt hinterher.«

Es gibt unendlich viel, das ich euch über »Hundesohn« erzählen könnte. Es gibt unendlich viel zu entdecken in diesem Buch, unendlich viel, das mir beim Lesen noch verborgen blieb, unendlich viele Textstellen, die mich berührt, bewegt, erheitert haben. Ich könnte unendlich viel sagen und lasse es doch, würde diesem Text nicht gerecht werden können, will euch den großen Spaß nicht nehmen, den das Lesen dieses Romans bereithält. »Hundesohn« ist eine Liebesgeschichte und ist doch keine, leistet große Erzählkunst an der Schnittstelle von Vulgarität und Poesie, ist roh und echt, authentisch und modern, ist sowohl als auch in seiner Erzählung und seinem Sein, akzeptiert und inszeniert seine innere wie äußere Zerrissenheit, schreit laut »I'm fucking here, deal with it.« mit Wortgewalt, Sprachgefühl und tiefen Emotionen. Ganz großes Kino und Literatur, die mir Hoffnung gibt.

»Werden, was du liebst, das muss das Geheimnis sein. Keine Angst mehr zu haben vor dem, was du begehrst, wenn es verschwindet.«




..................................................................

Daten zum Buch
Titel: Hundesohn
Autor*in: Ozan Zakariya Keskinkılıç
Sprache: Deutsch
Verlag: Suhrkamp
Hardcover | 219 Seiten | ISBN: 978-3-518-43254-9

Kommentare